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Grüne Klebprozesse

Die Nachfrage nach nachhaltigen Kleblösungen steigt weltweit und ist auch bei der Herstellung von Möbeln, Bauelementen oder Textilien zunehmend gefragt. Wie aber lässt sich das industrielle Kleben über die verschiedenen Branchen hinweg nachhaltiger gestalten?

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Die Steigerung der Nachhaltigkeit beim Kleben kann nur durch die Betrachtung unterschiedlicher Dimensionen gelingen. Dabei ist besonders die Optimierung der Klebstoffe selbst relevant, aber auch die Auswirkungen auf die mit den Produkten verbundenen Klebprozesse. So darf ein biobasierter Klebstoff keine intensivere Maschinenwartung verursachen oder die Ausschussquoten unverhältnismäßig erhöhen, denn damit wäre das Ziel der Nachhaltigkeit verfehlt. Ein nachhaltiger Klebstoff muss daher ebenso hohe Standards bei der Prozesssicherheit, Verbundqualität und Wirtschaftlichkeit erfüllen wie ein herkömmlicher fossiler Klebstoff.

Der Erfolg eines nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Klebstoffs lässt sich unter verschiedenen Gesichtspunkten bewerten (Bild 1): Welche Rohstoffbasis liegt der Rezeptur des Klebstoffs zugrunde? Welche Auswirkungen hat der eingesetzte Klebstoff auf die Verbraucher? Welche Auswirkungen hat sein Einsatz auf die Anwender im Klebprozess? Und welche Effekte hat er auf den Klebprozess selbst? Die vom Klebstoffhersteller Jowat entwickelten „Green Adhesives“ sollen diese unterschiedlichen Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigen und produzierenden Unternehmen ermöglichen, das Kleben verantwortungsvoller und ressourcenschonender zu gestalten, auch mit Blick auf die Mitarbeiter und Konsumenten.

Erneuerbare Rohstoffe

Für Unternehmen, die den Anteil nachhaltiger Rohstoffe in ihrer Produktion deutlich und nachweislich steigern möchten, eignet sich der Einsatz biobasierter oder rezyklatbasierter Klebstoffe. Die Auswahl des passenden Klebstoffes sollte unter einer ganzheitlichen Betrachtung erfolgen, da die Substitution fossiler durch erneuerbare Rohstoffe nicht grundsätzlich nachhaltig ist. So ist der Einsatz biobasierter Rohstoffe nur dann sinnvoll, wenn diese Rohstoffe gleichzeitig auch umweltfreundlich gewonnen werden können. Biobasierte Rohstoffe könnten kontraproduktiv in direkter Konkurrenz mit ihrer potenziellen Nutzung als Nahrungs- oder Futtermittel stehen. Der ökologische Nutzen ist ebenso fraglich, wenn zusätzliche Agrarflächen geschaffen werden müssen.

Im optimalen Fall sind recycelte Rohstoffe oder biologische Nebenprodukte aus anderen Prozessen, wie beispielsweise Zuckermelasse, die Basis für eine umweltfreundliche Klebstoffrezeptur. Dabei gilt es, möglichst viele Bestandteile der Klebstoff-Formulierung, also etwa bei Schmelzklebstoffen sowohl Harze, Wachse, Füllstoffe, Additive als auch Polymere, durch erneuerbare Alternativen zu ersetzen. Bei biobasierten Klebstoffen für die Verpackungsindustrie verwendet Jowat beispielsweise Tallharze, die Reststoffen der Zellstoffproduktion entstammen. Doch auch direkt gewonnene Baumharze (Bild 2) oder Terpenharze (Bild 3), die aus den Schalen unterschiedlicher Zitrusfrüchte extrahiert werden können, sind vorhandene Optionen. Derartige biobasierte Rohstoffe sind hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit und in Bezug auf ihr Leistungsspektrum oftmals vergleichbar mit petrostämmigen Systemen.

Im Markt etablierte biobasierte Klebstoffe, zum Beispiel für Verpackungsprozesse oder die Textilkaschierung, bieten biobasierte Anteile von über 50 % und ermöglichen gleichzeitig wartungsoptimierte und energiesparende Klebprozesse. Der tatsächliche Anteil biobasierter Rohstoffe in Jowatherm Grow Schmelzklebstoffen ist nachgewiesen und nach DIN oder USDA-Standards zertifiziert. Die prozentualen Anteile der organischen Stoffe werden dabei durch die Radiokarbonmethode, auch C14-Methode, bestimmt. Dieses Messverfahren beruht darauf, dass der Anteil gebundener radioaktiver C14-Atome in toten Organismen, also fossilen Rohstoffen, abnimmt, in lebenden Organismen, also den nachwachsenden Rohstoffen, hingegen nahezu identisch bleibt.

Als langfristig vielversprechende Alternative zu Rohstoffen mit direkt messbarem Bioanteil gilt der Einsatz des Massenbilanzverfahrens. Heute können aus diversen biobasierten oder nicht biobasierten Rohstoffen aus primärer oder sekundärer Erzeugung Monomere gewonnen werden, mit denen sich Klebrohstoffe polymerisieren lassen, die keine Unterschiede zu petrostämmigen Rohstoffen aufweisen. Mit diesen wiederum können nachhaltigere Klebstoffe produziert werden, die über die identischen chemischen und technischen Eigenschaften verfügen wie ihre herkömmlichen Pendants. Erneuerbares Ausgangsmaterial wird dem petrostämmigen Feedstock in den bestehenden, kontinuierlich betriebenen chemischen Produktionsanlagen zugegeben. Im Endprodukt ist der biogene Anteil daher durch Verdünnungseffekte nicht exakt messbar. Entsprechende Zertifizierungsund Überprüfungssysteme gewährleisten jedoch die Rückverfolgbarkeit der im Klebstoff ausgewiesenen erneuerbaren Anteile. Der Unterschied liegt also nicht im Produkt, sondern in der Herstellungsweise, ähnlich wie bei Ökostrom. Mögliche Einschränkungen in der Anwendung der Klebstoffe gibt es bei diesem Verfahren nicht, auch müssen keine neuen Klebstoff-Formulierungen entwickelt und geprüft werden. Das Massenbilanzverfahren gilt daher als Schlüsselmethode, um den Einsatz fossiler Rohstoffe in der chemischen Industrie zu verringern.

Verbraucherschutz

Endverbraucher legen immer größeren Wert auf ein gesundes Umfeld: Materialien und Objekte im täglichen Gebrauch sollen möglichst frei von Schadstoffen und damit unbedenklich für den Menschen sein. Die Entwicklung grüner Klebstoffe muss deshalb immer auch die Aspekte gesundheitlicher Auswirkungen im Blick haben. Schadstoff- und emissionsarme Kleblösungen bedeuten hier eine erhebliche Entlastung: Beim Einsatz im Umfeld des Endkunden sind sie aufgrund ihres geringen Gehalts an gesundheitlich bedenklichen Stoffen wie zum Beispiel Formaldehyd und Weichmachern langfristig vorteilhaft. Über ein optimiertes Herstellungsverfahren konnten leistungsfähige D3- und D4-Dispersionsklebstoffe entwickelt werden, deren Formaldehydemissionen im Vergleich zu ihren Vorgängern um 80 % geringer sind. In der Automobilbranche sorgen Klebstoffemit reduzierten VOC- und FOG-Werten, also wenigen flüchtigen organischen Verbindungen und kondensierbaren Substanzen, für eine gesteigerte Luftqualität und erhöhen den Komfort im Fahrzeuginnenraum. In Lebensmittelverpackungen werden Klebstoffe, die frei von aromatischen Mineralölkohlenwasserstoffen (MOAH) sind, den hohen lebensmittelrechtlichen Anforderungen gerecht.

Arbeitsschutz

Auch das Engagement für einen verstärkten Mitarbeiterschutz zeichnet ein Unternehmen aus, das nachhaltig und verantwortungsbewusst agieren möchte. Arbeitgeber stehen in der Verantwortung für die Gesundheit und Sicherheit ihrer Mitarbeiter. Mit dem Wechsel des eingesetzten Klebstoffs, zum Beispiel mit dem Umstieg auf monomerreduzierte PUR-Schmelzklebstoffe oder auf Lösemittelklebstoffe mit einem hohen Feststoffgehalt, können diese einen Beitrag zur Senkung des Gefahrenpotenzials am Arbeitsplatz und damit zur Verbesserung des Arbeitsschutzes leisten. Monomerreduzierte PUR-Schmelzklebstoffe besitzen einen sehr niedrigen Gehalt an monomerem Diisocyanat (MDI) von weniger als 0,1 % und sind damit kennzeichnungsfrei. Dazu kommt spätestens ab dem 24.08.2023 ein weiterer Vorteil: Ab diesem Datum greift die gesetzliche Schulungspflicht für alle Anwender von MDI-haltigen Produkten in der Europäischen Union. Mit monomerreduzierten Produkten entfällt die Schulungspflicht und damit auch die dafür notwendige Ressourcenbindung.

Ressourcenschonung

Der Einsatz von hochergiebigen oder Niedrigtemperatur-Schmelzklebstoffen unterstützt auch die Gestaltung energieeffizienter Produktionsprozesse. Herkömmliche Schmelzklebstoffe werden, abhängig von ihrer Zusammensetzung und dem für sie vorgesehenen Einsatzbereich, meist unter hohen Temperaturen geschmolzen und appliziert. Temperaturen von 160 °C und deutlich mehr sind dabei oft die Regel. Das Erhitzen der Klebstoffe im Klebprozess ist unter diesen Voraussetzungen mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Niedrigtemperatur-Schmelzklebstoffe hingegen können bereits bei deutlich geringeren Temperaturen, teilweise unter 100 °C, geschmolzen und verarbeitet werden. Das führt zu einem energetisch signifikant optimierten, ressourcenschonenden Klebprozess mit geringeren Verbrennungsrisiken für die Anwender. Ein weiterer Vorteil der Temperaturreduzierung bei der Verarbeitung ist die geringere thermische Belastung auf die angewendeten Klebstoffe. Durch sie kann die Bildung oxidativer Rückstände minimiert werden, die ansonsten erhöhte Wartungsund Stillstandszeiten der Anlagen zur Folge haben können. Für den universellen Einsatz bei der Klebung von Kantenbändern im Möbelbau mit optischer Nullfuge gibt es einen hoch ergiebigen, ungefüllten PUR-Klebstoff, der ab 100 °C verarbeitbar ist, eine hohe Anfangsfestigkeit aufweist und sich sauber und fadenzugfrei verarbeiten lässt. Derartige Klebstoffe sorgen für hohe Verbundfestigkeiten bei gesenktem Materialverbrauch. Außerdem kann durch ihre saubere Applikation gleichzeitig die Verschmutzung von Maschinenteilen und Produkten verringert werden.

Fazit

Grüne Klebstoffe sind elementare Bausteine auf dem Weg zum nachhaltigen industriellen Kleben. Nicht zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele führt die Umgestaltung des Gesamtprozesses auf Kosten höherer erneuerbarer Rohstoffanteile im Klebstoff, der aber insgesamt weniger ressourcenschonend, weniger gesundheitsund umweltverträglich oder womöglich sogar unwirtschaftlich ist. Im Sinne einer ganzheitlichen  Betrachtung sind auch die Ressourceneffizienz im Klebprozess, der Schutz der Anwender sowie die Gesundheit der Endverbraucher relevant.

 

Der Artikel ist in der Ausgabe 1-2/2023 der Fachzeitschrift "adhäsion" erschienen. Den gesamten Artikel können Sie unten als PDF herunterladen.