Jowat Inside
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Kleine Wesen, große Pläne

Die Menschheit lebt weit über ihre Verhältnisse. Wie kann dem ständig wachsenden Verbrauch endlicher Ressourcen gegengesteuert werden? Verschiedene Projekte eröffnen vielversprechende Perspektiven – und einige davon besitzen esondere Relevanz für die Klebstoffindustrie. Die Forschungsabteilung von Jowat gewährt ein paar Einblicke in die Zukunft.

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In jedem Jahr aufs Neue – und leider auch immer früher – bestätigt sich: Die Ressourcen unserer Welt sind endlich und die Menschheit verbraucht sie immer schneller. Am sogenannten Erdüberlastungstag (engl. Earth Overshoot Day) hat die Weltbevölkerung vorzeitig die Rohstoffe aufgebraucht, die innerhalb eines Jahres reproduziert werden können. Im Jahr 2021 erreichte diese Überlastung mit dem 29. Juli einen neuen, traurigen Rekord. Neben dem langfristig notwendigen Verzicht auf fossile Rohstoffe ist es daher auch wichtig, neue regenerative Ressourcenquellen zu erschließen, die den wachsenden Bedarf in allen Lebensbereichen decken können.

Raffinierte Ideen

Was bedeutet das für die Klebstoffindustrie? Ein Großteil der heute erhältlichen Klebstoffe basiert (noch) auf fossilen Ressourcen wie Erdöl. Doch Jowat arbeitet seit Jahren fleißig an Alternativen und hat mit den Produktreihen Jowatherm® GROW und Jowatherm-Reaktant® GROW bereits hochqualitative Klebstoffserien auf den Markt gebracht, die teilweise aus biobasierten Rohstoffen hergestellt werden – und dieser Anteil wird laufend größer. Zu den wichtigsten Grundstoffen gehört beispielsweise Rohtallöl, ein Nebenprodukt aus der Papierindustrie, aber auch ein solcher Rohstoff ist aufgrund gestiegener Nachfrage nicht immer verfügbar. So gilt es, sich nicht nur auf einen möglichen Weg zu fixieren, sondern auch weitere potenzielle Quellen zu erarbeiten. Keine leichte Aufgabe, wie Christoph Funke aus der Jowat-Abteilung Forschung und Entwicklung betont: „Jowat hat zwar bereits Forschungsprojekte abgeschlossen, die sich mit pflanzlichen Proteinen als Basis neuer Produkte beschäftigen.“ Doch durch die Gewinnung dieser Proteine aus Erbsen oder Soja läuft das Unternehmen schnell Gefahr, mit der Nahrungsmittelindustrie zu konkurrieren, die diese Erzeugnisse immer häufiger für die Herstellung vegetarischer und veganer Fleischersatzprodukte einsetzt, denn auch in dieser Branche ist die Nachfrage in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Welche Wege kann Jowat stattdessen noch einschlagen? Eine kostengünstige und zugleich in großen Mengen produzierbare Alternative wäre Polylactid. Das synthetische Polymer wird aus Milchsäure aufgebaut, die bei Fermentation von Biomasse entsteht.

Für diesen Prozess können insbesondere Reststoffe aus der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Konkurrenz zur Lebensmittelerzeugung zu vermeiden. Bei Polylactid handelt es sich um ein vielversprechendes Material, das bereits als Kunststoff eingesetzt wird. Als Klebstoffbasis weise dieses allerdings noch strukturelle Schwächen auf, wie Dr. Carmen Plass aus der Abteilung Forschungsdienste der Jowat SE einräumt. „Polylactide sind spröder als andere Kunststoffe und ein Klebstoff auf dieser Basis hätte nicht die Wärmebeständigkeit, die Schmelzklebstoffe aus anderen Materialien aufweisen.“ Eine nach gewohnten Vorgaben durchgeführte Klebung auf dieser Basis könnte den hohen Anforderungen seitens Jowat und der Anwender also eher nicht genügen. „Aber Jowat forscht bereits intensiv an Formulierungen und Modifikationen, mit denen die Eigenschaften eines Polylactid-Klebstoffs optimiert werden können“, betont sie. Denkbare Einsatzbereiche für ein solches Produkt wären die Papierindustrie, aber auch die Holz- oder Möbelindustrie, die zu den größten Abnehmern von Jowat-Klebstoffen zählen.

Eine neue Klebkultur?

Als besonders vielversprechend erweisen sich auch mikrobielle Biopolyester wie Polyhydroxybuttersäure (PHB). Diese von Bakterien gebildeten Biopolymere sind biologisch abbaubar. Mehrere bekannte Bakterienstämme wie Pseudomonas oder Bacillus sind in der Lage, diesen Stoff zu produzieren – einige von ihnen werden für diesen Zweck extra trainiert oder gezüchtet, wieder andere durch gentechnische Veränderungen geschaffen. Um an das verstoffwechselte PHB zu gelangen, ist eine Zelllyse erforderlich, sodass der synthetisierte Rohstoff in das Medium abgegeben wird und extrahiert werden kann. Für den Leiter der Jowat-Forschungsdienste, Dr. Hartmut Henneken, eröffnen derartig entwickelte Bakterienstämme neue Möglichkeiten. Allerdings scheitert diese Idee aktuell an einem Zwischenschritt, der für die Klebstoffproduktion auf PHB-Basis erforderlich ist. „Aus dem PHB muss Polyesterurethan (PEU) hergestellt werden, das wir zu Klebstoff verarbeiten können. Aktuell gibt es noch nicht genug Unternehmen, die PEU in großen Mengen herstellen.“ Der Bedarf eines großen produzierenden Unternehmens wie Jowat kann daher noch nicht auf diese Weise gedeckt werden. „Da die Verfügbarkeit von PHB ständig verbessert wird, eröffnen sich für Rohstoffproduzenten aber viele neue Möglichkeiten.“

Doch Jowat verfolgt die Idee der Bakterienstämme weiter: Im Auftrag der Klebstoffexperten hat die Phytowelt Green-Technologies GmbH mithilfe gentechnischer Modifikation Bakterienstämme entwickelt, die Harzsäuregemische produzieren. Harzsäuren sind wichtiger Bestandteil zahlreicher Klebstoffformulierungen. Bisher werden die Harze allerdings mit hohem Personalaufwand in Ländern wie Brasilien und China gewonnen und sind darüber hinaus Qualitätsschwankungen unterworfen. Eine standardisierte Synthese mit speziellen Bakterien könnte Prozessabläufe vereinfachen und ein langfristig hohes Qualitätsniveau erhalten – ohne auf eine leicht zu beeinträchtigende Rohstoffversorgung angewiesen sein zu müssen. „Aber hier stehen wir noch ganz am Anfang unserer Arbeit“, so Dr. Daniela Klein aus der Abteilung Forschungsdienste. „Bisher reichen die synthetisierten Harzsäuren für Laboranalysen aus, aber von praktischen Tests sind wir noch weit entfernt.“ Für die Jowat SE ist das dennoch kein Grund, die Bestrebungen einzustellen – die hehren Forschungsziele werden konsequent und zielstrebig weiterverfolgt.

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